Verwechs­lungs­gefahr im Marken­recht – Grund­lagen, Kriterien & aktuelle Beispiele

Dabei stellt sich häufig die Frage: Besteht Verwechs­lungs­gefahr mit einer älteren Marke?

1. Was bedeutet Verwechs­lungs­gefahr im Markenrecht?

Die Verwechs­lungs­gefahr (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG und Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV) ist gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum die sich gegen­über­ste­henden Marken irrtümlich für ein und dieselbe betrieb­liche Herkunft hält. Dabei ist nicht erfor­derlich, dass die Marken identisch sind. Es genügt, wenn der Gesamt­ein­druck der Zeichen aus Sicht eines durch­schnittlich infor­mierten, situa­ti­ons­ad­äquat aufmerk­samen und verstän­digen Durch­schnitts­ver­brau­chers den Eindruck einer wirtschaft­lichen Verbindung zwischen den Marken hervorruft.

2. Die drei Prüfungs­kri­terien: Wechselwirkungslehre

Die Recht­spre­chung – insbe­sondere die des Europäi­schen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundes­ge­richtshofs (BGH) – hat zur Bewertung der Verwechs­lungs­gefahr eine dreistufige Prüfung entwi­ckelt, bei der die drei Haupt­kri­terien in Wechsel­wirkung zuein­ander stehen:

  1. Zeichen­ähn­lichkeit
  2. Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen
  3. Kennzeich­nungs­kraft der älteren Marke

Ein starkes Gewicht bei einem Kriterium kann ein schwä­cheres bei einem anderen ausgleichen. Beispiel: Bei identi­schen Waren reicht bereits eine mittlere Zeichen­ähn­lichkeit aus, wenn die ältere Marke eine gestei­gerte Kennzeich­nungs­kraft besitzt.

2.1 Zeichen­ähn­lichkeit – Klang, Bild und Begriff

  • Klang­ähn­lichkeit: entscheidend z. B. bei mündlicher Bestellung oder Radiowerbung
  • Bildähn­lichkeit: z. B. bei visueller Betrachtung im Online-Handel oder auf Verpackungen
  • Begriffs­ähn­lichkeit: wenn Zeichen dieselbe Assoziation hervorrufen
Ältere Marke Jüngere Marke Ergebnis
Medion Medizon Verwechs­lungs­gefahr bejaht (klanglich sehr ähnlich)
SunLife LifeSun Zeichen bestehen aus denselben Bestand­teilen in vertauschter Reihen­folge. In vergleich­baren Fällen wurde regel­mäßig Verwechs­lungs­gefahr bejaht
Vitacola CocaCola Verwechs­lungs­gefahr verneint (trotz gewisser Klang­ähn­lichkeit, komplett anderer Gesamteindruck)
Sunny Mood Good Mood Verwechs­lungs­gefahr bejaht wegen begriff­licher Nähe.

2.2 Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen

  • Identität (z. B. „Schokolade“ vs. „Schoko­la­den­figur“)
  • Hohe Ähnlichkeit (z. B. „T‑Shirts“ vs. „Jacken“)
  • Mittlere Ähnlichkeit (z. B. „Brot“ vs. „Backmi­schungen“)
  • Geringe oder keine Ähnlichkeit (z. B. „Software­ent­wicklung“ vs. „Bauleis­tungen“)
Produkt A Produkt B Ergebnis
Parfum Körper­lotion Hohe Ähnlichkeit (Kosme­tik­sektor)
Energie­ge­tränke Finanz­dienst­leis­tungen Keine Ähnlichkeit
Lebens­mit­tel­be­ratung Diäte­tische Lebensmittel Geringe Ähnlichkeit

2.3 Kennzeich­nungs­kraft der älteren Marke

  • Originäre Kennzeich­nungs­kraft: Fanta­sie­be­griffe wie „Kodak“, „Google“
  • Geringe Kennzeich­nungs­kraft: beschrei­bende oder sachbe­zogene Begriffe wie „BioSnack“
  • Gestei­gerte Kennzeich­nungs­kraft: durch intensive Benutzung, Werbung, Marktpräsenz

Beispiel: Die Marke „Black­Berry“ war durch intensive Werbung bekannt – trotz der allge­meinen Begriffs­ähn­lichkeit zu „Berry­Phone“ wurde Verwechs­lungs­gefahr angenommen.

3. Wechsel­wirkung – So funktio­niert die Gesamtabwägung

  • Die ältere Marke hat eine hohe Kennzeichnungskraft
  • Die Waren sind identisch
  • Die Zeichen sind nur mäßig ähnlich

➞ Ergebnis: Verwechs­lungs­gefahr liegt dennoch vor.

Fall „Solira“ vs. „Solana“ (2024, EUIPO):

  • Bereich: Nahrungs­er­gän­zungs­mittel
  • Kennzeich­nungs­kraft: erhöht
  • Zeichen: klanglich und begrifflich ähnlich
  • Entscheidung: Verwechs­lungs­gefahr bejaht

4. Besondere Erschei­nungs­formen der Verwechslungsgefahr

  • Unmit­telbare Verwechs­lungs­gefahr → Der Verkehr hält die Zeichen für identisch oder nahezu identisch.
  • Mittelbare Verwechs­lungs­gefahr → Der Verkehr erkennt den Unter­schied, bringt sie aber wirtschaftlich mitein­ander in Verbindung (z. B. Serienzeichen).
  • Verwechs­lungs­gefahr durch gedank­liches Inver­bin­dung­bringen → Es entsteht beim Publikum die Vorstellung, die Zeichen gehörten zum gleichen Unter­nehmen oder Konzern.

5. Aktuelle Beispiele aus der Rechtsprechung

  • McCain vs. Agrar­frost (2025): Smiley-Kroketten verletzt Marken­rechte – OLG Düsseldorf
  • Audi vs. Nio (2023): ES6/ES8 vs. S6/S8 – LG München: Verwechs­lungs­gefahr bejaht
  • The North Face vs. The Dog Face (2022): Ähnlichkeit von Name & Logo – Verwechslungsgefahr

6. Praxistipp für Markenanmelder

  • Vor jeder Marken­an­meldung sollte eine umfas­sende profes­sio­nelle Marken­re­cherche in Deutschland oder dem Gebiet in der der Schutz aufgebaut werden soll erfolgen – nicht nur nach identi­schen Marken, sondern auch nach ähnlichen.
  • Die bloße Verfüg­barkeit im Marken­re­gister bedeutet nicht, dass keine recht­lichen Risiken bestehen.
  • Besonders in hart umkämpften Branchen wie Kosmetik, Mode, Techno­logie oder Gesund­heits­pro­dukte ist die Gefahr hoch, unbewusst eine bereits geschützte Marke zu verletzen.

Fazit

Die Beurteilung der Verwechs­lungs­gefahr ist komplex und stark vom Einzelfall abhängig. Eine rechts­si­chere Einschätzung erfordert Erfahrung mit der Praxis der Marken­ämter und Gerichte. Eine fundierte Marken­re­cherche mit juris­ti­scher Einschätzung ist daher kein „Kann“, sondern ein „Muss“ für alle, die ihre Marke langfristig schützen wollen.

Weiter­füh­rende Infor­ma­tionen zur Markenrecherche