1. Einheitlicher Prüfungsmaßstab nach EuGH und EUIPO
Die Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG und Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV bezeichnet das Risiko, dass der angesprochene Verkehr glaubt, die mit den sich gegenüberstehenden Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
Die maßgebliche Definition wird vom EUIPO und dem Europäischen Gerichtshof seit Jahren nahezu wortgleich verwendet:
„Verwechslungsgefahr liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum der Auffassung sein könnte, die mit den infrage stehenden Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen stammten von demselben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
Ob eine Verwechslungsgefahr besteht, hängt bei einer umfassenden Beurteilung von der Abwägung mehrerer, voneinander abhängiger Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören die Ähnlichkeit der Zeichen, die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die kennzeichnenden und dominierenden Elemente der in Konflikt stehenden Zeichen sowie das relevante Publikum.“
Die Prüfung erfolgt stets aus Sicht eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der betroffenen Waren oder Dienstleistungen.
- Es wird nicht darauf abgestellt, wie ein Anwalt oder Markenexperte die beiden Marken wahrnimmt, sondern darauf, wie ein normaler Verbraucher sie im Alltag wahrnehmen würde.
- Dieser Verbraucher kennt sich mit den Produkten oder Dienstleistungen grundlegend aus, achtet beim Kauf mit üblicher Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, analysiert aber nicht jedes Detail.
- Er ist also nicht besonders vorsichtig, aber auch nicht unaufmerksam – sondern bewegt sich irgendwo dazwischen: ganz so, wie die meisten Menschen eben Entscheidungen beim Einkauf treffen.
2. Wechselwirkung der Prüfungskriterien
Die Rechtsprechung wendet bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr die sogenannte Wechselwirkungslehre an. Diese besagt, dass die drei Hauptkriterien der Prüfung nicht isoliert, sondern in Verbindung zueinander betrachtet werden:
- Ähnlichkeit der Zeichen – also wie ähnlich sich die Marken in Klang, Schriftbild oder Bedeutung sind
- Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen – wie nah die Produkte oder Leistungen inhaltlich zueinanderstehen
- Kennzeichnungskraft der älteren Marke – wie bekannt oder stark diese Marke im Markt verankert ist
Es gibt keinen festen Punktwert oder Prozentsatz, ab dem Verwechslungsgefahr bejaht wird. Stattdessen wird das Gesamtbild beurteilt. Dabei kann ein starkes Kriterium ein schwächeres ausgleichen.
Wenn zum Beispiel zwei Marken zwar nicht sehr ähnlich klingen, sich aber auf nahezu identische Produkte beziehen, und die ältere Marke zudem sehr bekannt ist, kann trotzdem Verwechslungsgefahr bestehen.
Oder umgekehrt: Wenn zwei Marken sich stark ähneln, aber für sehr unterschiedliche Branchen verwendet werden, ist das Risiko einer Verwechslung deutlich geringer.
Die Entscheidung erfolgt also im Zusammenspiel der drei Faktoren – nicht rechnerisch, sondern nach einer juristischen Gesamtabwägung.
3. Zeichenähnlichkeit – Bild, Klang und Bedeutung
Die Ähnlichkeit von Marken wird auf drei Ebenen geprüft: visuell (wie sie aussehen), klanglich (wie sie klingen) und begrifflich (was sie bedeuten). Entscheidend ist der Gesamteindruck, den eine Marke beim angesprochenen Publikum hinterlässt – insbesondere unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Bestandteile. Schon eine Ähnlichkeit in nur einem Bereich kann ausreichen, wenn die anderen Faktoren (z. B. Warenähnlichkeit oder Bekanntheit) hinzukommen.
3.1 Visuelle Ähnlichkeit
Die visuelle Ähnlichkeit bezieht sich auf das äußere Erscheinungsbild der Marken: also Buchstabenfolge, Länge, Layout, Farben, Schriftbild oder grafische Elemente. Diese spielt vor allem dann eine Rolle, wenn die Marke überwiegend visuell wahrgenommen wird – etwa beim Einkauf im Supermarkt oder beim Scrollen im Online-Shop.
In der Entscheidung zu den Marken „CANELO“ und „CANEVA“ stellte das EUIPO eine hohe visuelle Ähnlichkeit fest. Beide Marken bestehen aus sechs Buchstaben, beginnen mit „CAN“ und enden auf Vokal-Konsonant-Vokal. Der Gesamteindruck sei trotz der unterschiedlichen Endbuchstaben sehr ähnlich.
„Die Zeichen weisen aufgrund der gemeinsamen Zeichenstruktur und der identischen Anfangsbuchstaben eine hohe visuelle Ähnlichkeit auf.“
(EUIPO, Widerspruch Nr. B 2 922 114 – CANELO / CANEVA)
Im Klartext:
Wenn zwei Markennamen beim flüchtigen Lesen sehr ähnlich aussehen – etwa gleich beginnen und ähnlich lang sind – kann das zu Verwechslungen führen. Das gilt vor allem, wenn Käufer Produkte nur schnell visuell erfassen, ohne die Details genau zu prüfen.
Hinweis zur Markenform
- Wortmarken werden allein auf den Wortlaut geprüft – unabhängig von Schriftart, Farbe oder Gestaltung.
- Wort-/Bildmarken werden als Gesamtbild bewertet. Ist der Wortbestandteil dominierend, kann dieser auch klanglich oder begrifflich mit anderen Marken verglichen werden.
- Bildmarken (ohne Text) können ausschließlich visuell geprüft werden – sie bieten keinen Anknüpfungspunkt für Klang oder Bedeutung.
3.2 Klangähnlichkeit
Hier wird geprüft, ob zwei Marken ähnlich klingen – z. B. beim Aussprechen, in Werbung oder am Telefon. Maßgeblich sind dabei Anzahl und Struktur der Silben, Betonung, Vokal- und Konsonantenfolge.
Im Fall „MYXERY“ vs. „MYSTERY“ wurde die klangliche Nähe bejaht. Gerade bei alkoholischen Getränken, die oft mündlich bestellt werden, sei die Verwechslungsgefahr durch ähnliche Aussprache besonders hoch.
„Die klangliche Ähnlichkeit ist im Bereich alkoholischer Getränke von besonderer Bedeutung, da Kaufentscheidungen häufig mündlich getroffen werden.“
(EuG, Urteil in T‑275/21 – MYXERY / MYSTERY)
Im Klartext:
Wenn zwei Markennamen beim Hören fast gleich klingen, kann es leicht zu Verwechslungen kommen – z. B. in der Radiowerbung, bei einer mündlichen Empfehlung oder bei der telefonischen Bestellung.
3.3 Begriffliche Ähnlichkeit
Diese Form der Ähnlichkeit betrifft die inhaltliche Bedeutung oder Assoziation, die ein Begriff hervorruft – etwa bei Synonymen, Übersetzungen oder thematisch nahen Begriffen.
Im Fall „APPLE BITE“ vs. „PEAR“ wurde die begriffliche Ähnlichkeit verneint. Zwar handelt es sich bei Apfel und Birne um ähnliche Produktkategorien (Obst), die Begriffe seien für den Verbraucher aber klar unterscheidbar.
„Ein Apfel und eine Birne weisen zwar gemeinsame Merkmale auf […], diese reichen jedoch nicht aus, um die eindeutigen begrifflichen Unterschiede zwischen den Marken aufzuwiegen.“
(EuG, T‑89/07 – PEAR / APPLE BITE)
Im Klartext:
Zwei Marken können auch dann verwechselt werden, wenn sie das Gleiche bedeuten – etwa „Sun“ und „Soleil“. Entscheidend ist, ob der Durchschnittsverbraucher bei beiden Marken dieselbe Vorstellung oder Assoziation im Kopf hat.
4. Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen
Die Ähnlichkeit von Waren oder Dienstleistungen ist eine der zentralen Voraussetzungen für die Annahme einer Verwechslungsgefahr. Grundlage ist die sogenannte Canon-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, C‑39/97 – Canon Kabushiki Kaisha), die auch Eingang in die Prüfungsrichtlinien des EUIPO gefunden hat.
„Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den betreffenden Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere deren Art, Verwendungszweck und Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder sich ergänzende Waren oder Dienstleistungen.“
Prüfkriterien im Überblick (Canon-Katalog):
- Art der Waren oder Dienstleistungen (z. B. physisches Produkt vs. Beratungsleistung)
- Verwendungszweck (z. B. Reinigung, Unterhaltung, Ernährung)
- Nutzung / Anwendung (wie wird das Produkt genutzt?)
- Zielgruppe / angesprochener Verkehrskreis
- Vertriebskanäle (z. B. Online-Shop, Fachhandel, Direktvertrieb)
- Konkurrenzverhältnis (werden die Produkte als Alternativen gesehen?)
- Komplementarität (ergänzen sich die Produkte wirtschaftlich?)
- Übliche Herkunft (werden sie typischerweise vom selben Anbieter produziert?)
Hinweis: Die bloße Einordnung in dieselbe oder unterschiedliche Nizza-Klasse ist nicht entscheidend. Auch Produkte aus verschiedenen Klassen können ähnlich sein – oder trotz gleicher Klasse völlig verschieden.
Im Klartext:
Ob zwei Marken im rechtlichen Sinne ähnliche Produkte oder Dienstleistungen bezeichnen, hängt nicht davon ab, in welcher Klasse sie im Markenregister eingetragen sind – sondern davon, ob sie im echten Leben zusammengehören oder sich ergänzen könnten.
Fragen wie:
- „Würde ein Verbraucher erwarten, dass beide Angebote aus demselben Unternehmen stammen?“
- „Werden sie auf denselben Plattformen angeboten?“
- „Werden sie vom selben Personenkreis gekauft oder genutzt?“
helfen dabei, diese Ähnlichkeit zu beurteilen.
Praxisbeispiele zur Produkt- und Dienstleistungsähnlichkeit
Produkt / Dienst A |
Produkt / Dienst B |
Ähnlichkeitsgrad | Begründung |
---|---|---|---|
Smartphones | Smartwatches | Hoch | Technologisch verwandt, gleiche Zielgruppe, oft vom selben Hersteller |
Fotodienstleistungen | Foto-Drucksoftware | Mittel bis hoch | Gemeinsamer Zweck (Bildbearbeitung), komplementär nutzbar |
E‑Learning-Kurse | Schulungsdienstleistungen vor Ort | Mittel | Gleiche Branche (Bildung), unterschiedliche Erbringung |
Reinigungsmittel | Reinigungsgeräte | Mittel | Unterschiedliche Art, aber gleiches Ziel, oft gemeinsam angeboten |
Möbel | Einrichtungsberatung | Mittel bis hoch | Komplementär, gleiche Zielgruppe, gemeinsamer Marktauftritt |
Hörgeräte | Medizinische Beratung bei Hörproblemen | Gering bis mittel | Gemeinsame Zielgruppe, funktionale Nähe, unterschiedliche Kategorie |
Tourismusmarketing | Hotelbetrieb | Mittel | Beides im Tourismusbereich, wirtschaftliche Nähe über Kooperationen |
Tierfutter | Nahrungsergänzungen für Tiere | Hoch | Gleiche Zielgruppe (Tierhalter), eng verwandte Produkte |
5. Kennzeichnungskraft der älteren Marke
Die Kennzeichnungskraft (auch: Unterscheidungskraft) einer Marke beschreibt, wie gut sie geeignet ist, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Je stärker die Kennzeichnungskraft, desto größer der Schutzumfang der Marke – und desto schneller kann eine Verwechslungsgefahr mit einer ähnlichen Marke angenommen werden.
Arten von Kennzeichnungskraft
Es werden drei Stufen unterschieden:
- Originäre (normale) Kennzeichnungskraft
→ Die Marke ist von Haus aus unterscheidungskräftig (z. B. Fantasiebegriffe wie „Kodak“, „Rewe“ oder „Zalando“) - Geringe Kennzeichnungskraft
→ Die Marke hat beschreibende oder stark sachbezogene Anklänge (z. B. „BioSnack“ für Bioprodukte, „Auto24“ für Fahrzeughandel) - Gesteigerte Kennzeichnungskraft (durch Benutzung)
→ Eine ursprünglich schwache oder normale Marke kann durch intensive und langjährige Benutzung, hohe Bekanntheit, Werbung, Marktanteile usw. an Kennzeichnungskraft gewinnen. Dies nennt man Verkehrsdurchsetzung oder Benutzungsverstärkung.
„Je größer die Unterscheidungskraft der älteren Marke ist, desto eher ist eine Verwechslungsgefahr gegeben.“
Im Klartext:
Marken, die sehr bekannt oder besonders einprägsam sind, genießen einen höheren Schutz. Das bedeutet: Schon kleinere Ähnlichkeiten bei einer neuen Marke können zu einer Verwechslungsgefahr führen.
Anders gesagt:
Wer „Google“ oder „Nike“ ähnelt, braucht nicht viel Ähnlichkeit, um in Probleme zu geraten.
Wer „Autozentrum Berlin“ heißt, muss mehr Unterschiede ertragen, weil der Begriff beschreibender ist.
Beispiele aus der Praxis:
Marke | Kennzeichnungskraft | Bemerkung |
---|---|---|
Kodak | Hoch (originär, Fantasiebegriff) | Stark unterscheidungskräftig seit jeher |
BlackBerry | Gesteigert durch Benutzung | Intensive Werbung und Marktpräsenz führten zu hohem Schutz |
BerryPhone | Schwach (beschreibender Begriff) | Trotz Nähe zu „BlackBerry“ weniger Schutz, aber Verwechslungsgefahr möglich |
BioKeks | Gering | Sachbezug, eher beschreibend für Bio-Gebäck |
Zalando | Hoch | Fantasiebegriff mit hoher Bekanntheit, starker Schutz |
SchuhMarkt24 | Gering | Allgemein gehalten, viele ähnliche Marken denkbar |
6. Wechselwirkung der Kriterien
Die drei Hauptkriterien zur Prüfung der Verwechslungsgefahr – Zeichenähnlichkeit, Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit und Kennzeichnungskraft der älteren Marke – werden nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrem Zusammenspiel bewertet. Dieses Zusammenspiel wird als Wechselwirkung bezeichnet.
Die Wechselwirkungslehre wurde durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs geprägt. Sie besagt: Ein stark ausgeprägtes Kriterium kann Schwächen in einem anderen Bereich ausgleichen.
Für Juristen: maßgebliche Rechtsprechung
„Eine Verwechslungsgefahr besteht insbesondere dann, wenn die Zeichen- und die Produktähnlichkeit jeweils für sich genommen nicht unerheblich sind und die ältere Marke über eine normale oder gesteigerte Kennzeichnungskraft verfügt.“
Im Klartext:
Es gibt kein Punktesystem und keine feste Gewichtung der drei Kriterien. Stattdessen wird eine Gesamtabwägung aller Umstände vorgenommen:
- Wenn zwei Marken fast identisch aussehen, genügt oft schon eine geringe Warenähnlichkeit, um eine Verwechslungsgefahr anzunehmen.
- Wenn zwei Produkte fast gleichartig sind, kann auch eine nur mäßig ähnliche Marke zu Problemen führen – insbesondere, wenn die ältere Marke besonders bekannt ist.
- Umgekehrt: Wenn sowohl die Zeichen als auch die Produkte nur sehr entfernt vergleichbar sind, liegt in der Regel keine Verwechslungsgefahr vor.
Beispielhafte Konstellationen:
Zeichenähnlichkeit | Warenähnlichkeit | Kennzeichnungskraft | Ergebnis |
---|---|---|---|
Hoch | Hoch | Normal | Verwechslungsgefahr bejaht |
Mittel | Hoch | Hoch | Verwechslungsgefahr bejaht |
Gering | Hoch | Sehr hoch (bekannte Marke) | Verwechslungsgefahr möglich |
Hoch | Gering | Hoch | Verwechslungsgefahr möglich |
Mittel | Gering | Gering | Keine Verwechslungsgefahr |
Merksatz: Je ähnlicher zwei Marken sind, desto weniger ähnlich müssen die Produkte sein – und umgekehrt.
Eine bekannte Marke muss weniger Ähnlichkeit dulden. Eine beschreibende Marke hingegen nur dann Schutz beanspruchen, wenn die Zeichen- und Warenähnlichkeit sehr stark ist.
7. Besondere Erscheinungsformen der Verwechslungsgefahr
Neben der unmittelbaren Verwechslung eines Zeichens mit einem anderen erkennt die Rechtsprechung weitere Fallgruppen der Verwechslungsgefahr an. Diese sogenannten besonderen Erscheinungsformen betreffen Situationen, in denen die Marken zwar nicht identisch oder unmittelbar verwechselbar sind, aber dennoch eine irrige gedankliche Verbindung beim Verbraucher ausgelöst wird.
Die drei anerkannten Formen sind:
7.1 Unmittelbare Verwechslungsgefahr
Hier glaubt der Durchschnittsverbraucher, die beiden Marken seien identisch oder zumindest so ähnlich, dass er sie nicht auseinanderhalten kann.
„Medizon“ statt „Medion“ – geringe Abweichung im Klang und Schriftbild. Verbraucher könnten denken, es handelt sich um denselben Hersteller oder ein Schreibfehler.
7.2 Mittelbare Verwechslungsgefahr (Gedankliches Inverbindungbringen)
Der Verbraucher erkennt zwar Unterschiede zwischen den Marken, nimmt aber eine wirtschaftliche oder organisatorische Verbindung zwischen den Unternehmen an – z. B. eine Serienmarke oder eine Tochtergesellschaft.
Typisch bei:
- Markenfamilien (z. B. „Nivea Sun“, „Nivea Men“, „Nivea Soft“)
- Kombinationen bekannter Markenteile mit neuen Elementen
„Auch wenn der Verkehr die Unterschiede erkennt, kann eine Verwechslungsgefahr bestehen, wenn er aufgrund ähnlicher Struktur oder Anklänge davon ausgeht, die Marken stammten aus derselben Unternehmensgruppe.“
7.3 Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne („assoziative Verwechslung“)
Hier denkt der Verbraucher nicht, dass die Produkte vom selben Anbieter stammen – aber er stellt eine Verbindung im Kopf her und schreibt dem jüngeren Zeichen etwa ein Image oder einen Ruf der älteren Marke zu. Das betrifft insbesondere bekannte Marken mit hoher Kennzeichnungskraft.
„The Dog Face“ für Streetwear wird mit „The North Face“ assoziiert – auch wenn der Verbraucher weiß, dass es sich um verschiedene Unternehmen handelt. Dennoch kann dies den Ruf oder die Unterscheidungskraft der bekannten Marke ausnutzen oder beeinträchtigen.
„Auch eine bloße gedankliche Verbindung zwischen zwei Marken kann ausreichen, wenn sie geeignet ist, den Ruf der bekannten Marke auszunutzen oder zu beschädigen.“
Im Klartext:
Manchmal verwechselt man Marken nicht direkt – aber man glaubt, sie gehören zusammen. Man denkt vielleicht:
„Das ist bestimmt die neue Produktlinie von Marke XY“ – oder:
„Das hat sicher was mit der anderen Marke zu tun“.
Auch solche indirekten Assoziationen können rechtlich problematisch sein – vor allem bei bekannten oder stark beworbenen Marken.
8. Praxistipps für Markenanmelder
Die rechtliche Prüfung der Verwechslungsgefahr zeigt: Wer eine Marke anmeldet oder nutzt, sollte nicht nur auf identische Begriffe achten, sondern auch auf ähnlich klingende, aussehende oder bedeutende Marken. Vor allem in Branchen mit starker Konkurrenz oder vielen Eintragungen kann schon eine teilweise Ähnlichkeit rechtlich zum Problem werden.
Die wichtigsten Empfehlungen im Überblick:
- ✅ Ähnlichkeitsrecherche vor Anmeldung durchführen: Eine reine Identitätsrecherche reicht nicht aus. Es sollte gezielt auch nach ähnlichen Marken gesucht werden, um rechtliche Konflikte frühzeitig zu vermeiden.
- ✅ Unterschiedliche Schutzbereiche beachten: Markenrecht gilt national oder regional. Wer europaweit aktiv ist, sollte auch Unionsmarken (EUIPO) oder internationale Registrierungen (WIPO) einbeziehen.
- ✅ Zielmarkt analysieren: Die Verwechslungsgefahr richtet sich nach dem angesprochenen Publikum. Ob Verbraucher oder Fachpublikum betroffen ist, kann den Ausgang der Prüfung erheblich beeinflussen.
- ✅ Starke Marken besonders prüfen: Wenn eine ältere Marke bekannt oder originell ist, reicht oft schon ein kleiner Anklang, um rechtliche Schritte auszulösen. Geringe Ähnlichkeiten können bei starken Marken bereits ausreichen.
- ✅ Nicht auf die Nizza-Klassen verlassen: Die Einordnung in dieselbe Klasse bedeutet nicht automatisch Ähnlichkeit – und umgekehrt können Marken aus unterschiedlichen Klassen dennoch kollidieren, wenn ihre Waren sich wirtschaftlich ergänzen oder ähnlich genutzt werden.
Spezialtipp für unterschiedliche Märkte:
Wer in mehreren Ländern aktiv ist oder sein Angebot expandieren will, sollte länderspezifisch prüfen lassen, ob ähnliche Marken bestehen. Ein Begriff kann in einem Land unproblematisch, in einem anderen jedoch bereits belegt oder markenrechtlich risikobehaftet sein.
Fazit:
Die Verwechslungsgefahr ist kein starres Schema, sondern eine Einzelfallentscheidung – basierend auf dem Zusammenspiel mehrerer rechtlicher und wirtschaftlicher Faktoren. Markenanmelder sollten dieses Risiko nicht unterschätzen. Denn selbst wenn eine Marke erfolgreich eingetragen wird, kann sie jederzeit durch Widerspruch oder Klage gefährdet werden, wenn ein Dritter ältere Rechte geltend macht.
Eine professionelle Markenrecherche mit juristischer Einschätzung ist deshalb kein „Kann“, sondern ein Muss – gerade bei langfristig geplanten Markenauftritten, Investitionen oder Online-Vermarktung.
Zusammenfassende Übersicht:
Tipp | Wichtig, weil … |
---|---|
Ähnlichkeitsrecherche | Ähnliche Marken können rechtliche Probleme verursachen – nicht nur identische. |
Bekannte Marken besonders prüfen | Starke Marken haben größeren Schutzumfang – auch bei kleinen Ähnlichkeiten. |
Zielpublikum beachten | Ob Fachleute oder Endverbraucher angesprochen werden, beeinflusst die Prüfung. |
Klassenlogik hinterfragen | Gleiche Nizza-Klasse ≠ automatisch ähnlich; wirtschaftliche Nähe ist entscheidend. |
Internationale Märkte prüfen | Rechte können sich länderspezifisch unterscheiden – Risiken bei Expansion. |