1. Einheit­licher Prüfungs­maßstab nach EuGH und EUIPO

Die Verwechs­lungs­gefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG und Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV bezeichnet das Risiko, dass der angespro­chene Verkehr glaubt, die mit den sich gegen­über­ste­henden Marken gekenn­zeich­neten Waren oder Dienst­leis­tungen stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbun­denen Unternehmen.

Die maßgeb­liche Definition wird vom EUIPO und dem Europäi­schen Gerichtshof seit Jahren nahezu wortgleich verwendet:

„Verwechs­lungs­gefahr liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum der Auffassung sein könnte, die mit den infrage stehenden Marken gekenn­zeich­neten Waren oder Dienst­leis­tungen stammten von demselben Unter­nehmen oder gegebe­nen­falls von wirtschaftlich verbun­denen Unternehmen.

Ob eine Verwechs­lungs­gefahr besteht, hängt bei einer umfas­senden Beurteilung von der Abwägung mehrerer, vonein­ander abhän­giger Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören die Ähnlichkeit der Zeichen, die Ähnlichkeit der Waren und Dienst­leis­tungen, die Kennzeich­nungs­kraft der älteren Marke, die kennzeich­nenden und dominie­renden Elemente der in Konflikt stehenden Zeichen sowie das relevante Publikum.

(vgl. EUIPO, Leitlinien Teil C – Opposition, 2024; EuGH C‑251/95 – SABEL/Puma; C‑39/97 – Canon; C‑342/97 – Lloyd)

Die Prüfung erfolgt stets aus Sicht eines durch­schnittlich infor­mierten, situa­ti­ons­ad­äquat aufmerk­samen und verstän­digen Durch­schnitts­ver­brau­chers der betrof­fenen Waren oder Dienstleistungen.

  • Es wird nicht darauf abgestellt, wie ein Anwalt oder Marken­ex­perte die beiden Marken wahrnimmt, sondern darauf, wie ein normaler Verbraucher sie im Alltag wahrnehmen würde.
  • Dieser Verbraucher kennt sich mit den Produkten oder Dienst­leis­tungen grund­legend aus, achtet beim Kauf mit üblicher Aufmerk­samkeit auf das Wesent­liche, analy­siert aber nicht jedes Detail.
  • Er ist also nicht besonders vorsichtig, aber auch nicht unauf­merksam – sondern bewegt sich irgendwo dazwi­schen: ganz so, wie die meisten Menschen eben Entschei­dungen beim Einkauf treffen.

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2. Wechsel­wirkung der Prüfungskriterien

Die Recht­spre­chung wendet bei der Prüfung der Verwechs­lungs­gefahr die sogenannte Wechsel­wir­kungs­lehre an. Diese besagt, dass die drei Haupt­kri­terien der Prüfung nicht isoliert, sondern in Verbindung zuein­ander betrachtet werden:

  • Ähnlichkeit der Zeichen – also wie ähnlich sich die Marken in Klang, Schriftbild oder Bedeutung sind
  • Ähnlichkeit der Waren oder Dienst­leis­tungen – wie nah die Produkte oder Leistungen inhaltlich zueinanderstehen
  • Kennzeich­nungs­kraft der älteren Marke – wie bekannt oder stark diese Marke im Markt verankert ist

Es gibt keinen festen Punktwert oder Prozentsatz, ab dem Verwechs­lungs­gefahr bejaht wird. Statt­dessen wird das Gesamtbild beurteilt. Dabei kann ein starkes Kriterium ein schwä­cheres ausgleichen.

Wenn zum Beispiel zwei Marken zwar nicht sehr ähnlich klingen, sich aber auf nahezu identische Produkte beziehen, und die ältere Marke zudem sehr bekannt ist, kann trotzdem Verwechs­lungs­gefahr bestehen.

Oder umgekehrt: Wenn zwei Marken sich stark ähneln, aber für sehr unter­schied­liche Branchen verwendet werden, ist das Risiko einer Verwechslung deutlich geringer.

Die Entscheidung erfolgt also im Zusam­men­spiel der drei Faktoren – nicht rechne­risch, sondern nach einer juris­ti­schen Gesamtabwägung.

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3. Zeichen­ähn­lichkeit – Bild, Klang und Bedeutung

Die Ähnlichkeit von Marken wird auf drei Ebenen geprüft: visuell (wie sie aussehen), klanglich (wie sie klingen) und begrifflich (was sie bedeuten). Entscheidend ist der Gesamt­ein­druck, den eine Marke beim angespro­chenen Publikum hinter­lässt – insbe­sondere unter Berück­sich­tigung der unter­schei­dungs­kräf­tigen und dominie­renden Bestand­teile. Schon eine Ähnlichkeit in nur einem Bereich kann ausreichen, wenn die anderen Faktoren (z. B. Waren­ähn­lichkeit oder Bekanntheit) hinzukommen.

3.1 Visuelle Ähnlichkeit

Die visuelle Ähnlichkeit bezieht sich auf das äußere Erschei­nungsbild der Marken: also Buchsta­ben­folge, Länge, Layout, Farben, Schriftbild oder grafische Elemente. Diese spielt vor allem dann eine Rolle, wenn die Marke überwiegend visuell wahrge­nommen wird – etwa beim Einkauf im Super­markt oder beim Scrollen im Online-Shop.

Beispiel:
In der Entscheidung zu den Marken „CANELO“ und „CANEVA“ stellte das EUIPO eine hohe visuelle Ähnlichkeit fest. Beide Marken bestehen aus sechs Buchstaben, beginnen mit „CAN“ und enden auf Vokal-Konsonant-Vokal. Der Gesamt­ein­druck sei trotz der unter­schied­lichen Endbuch­staben sehr ähnlich.

„Die Zeichen weisen aufgrund der gemein­samen Zeichen­struktur und der identi­schen Anfangs­buch­staben eine hohe visuelle Ähnlichkeit auf.“
(EUIPO, Wider­spruch Nr. B 2 922 114 – CANELO / CANEVA) 

Im Klartext:
Wenn zwei Marken­namen beim flüch­tigen Lesen sehr ähnlich aussehen – etwa gleich beginnen und ähnlich lang sind – kann das zu Verwechs­lungen führen. Das gilt vor allem, wenn Käufer Produkte nur schnell visuell erfassen, ohne die Details genau zu prüfen.

Hinweis zur Markenform

  • Wortmarken werden allein auf den Wortlaut geprüft – unabhängig von Schriftart, Farbe oder Gestaltung.
  • Wort-/Bild­marken werden als Gesamtbild bewertet. Ist der Wortbe­standteil dominierend, kann dieser auch klanglich oder begrifflich mit anderen Marken verglichen werden.
  • Bildmarken (ohne Text) können ausschließlich visuell geprüft werden – sie bieten keinen Anknüp­fungs­punkt für Klang oder Bedeutung.

3.2 Klang­ähn­lichkeit

Hier wird geprüft, ob zwei Marken ähnlich klingen – z. B. beim Aussprechen, in Werbung oder am Telefon. Maßgeblich sind dabei Anzahl und Struktur der Silben, Betonung, Vokal- und Konsonantenfolge.

Beispiel:
Im Fall „MYXERY“ vs. „MYSTERY“ wurde die klang­liche Nähe bejaht. Gerade bei alkoho­li­schen Getränken, die oft mündlich bestellt werden, sei die Verwechs­lungs­gefahr durch ähnliche Aussprache besonders hoch.

„Die klang­liche Ähnlichkeit ist im Bereich alkoho­li­scher Getränke von beson­derer Bedeutung, da Kaufent­schei­dungen häufig mündlich getroffen werden.“
(EuG, Urteil in T‑275/21 – MYXERY / MYSTERY) 

Im Klartext:
Wenn zwei Marken­namen beim Hören fast gleich klingen, kann es leicht zu Verwechs­lungen kommen – z. B. in der Radio­werbung, bei einer mündlichen Empfehlung oder bei der telefo­ni­schen Bestellung.

3.3 Begriff­liche Ähnlichkeit

Diese Form der Ähnlichkeit betrifft die inhalt­liche Bedeutung oder Assoziation, die ein Begriff hervorruft – etwa bei Synonymen, Überset­zungen oder thema­tisch nahen Begriffen.

Beispiel:
Im Fall „APPLE BITE“ vs. „PEAR“ wurde die begriff­liche Ähnlichkeit verneint. Zwar handelt es sich bei Apfel und Birne um ähnliche Produkt­ka­te­gorien (Obst), die Begriffe seien für den Verbraucher aber klar unterscheidbar.

„Ein Apfel und eine Birne weisen zwar gemeinsame Merkmale auf […], diese reichen jedoch nicht aus, um die eindeu­tigen begriff­lichen Unter­schiede zwischen den Marken aufzuwiegen.“
(EuG, T‑89/07 – PEAR / APPLE BITE) 

Im Klartext:
Zwei Marken können auch dann verwechselt werden, wenn sie das Gleiche bedeuten – etwa „Sun“ und „Soleil“. Entscheidend ist, ob der Durch­schnitts­ver­braucher bei beiden Marken dieselbe Vorstellung oder Assoziation im Kopf hat.

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4. Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen

Die Ähnlichkeit von Waren oder Dienst­leis­tungen ist eine der zentralen Voraus­set­zungen für die Annahme einer Verwechs­lungs­gefahr. Grundlage ist die sogenannte Canon-Entscheidung des Europäi­schen Gerichtshofs (EuGH, C‑39/97 – Canon Kabushiki Kaisha), die auch Eingang in die Prüfungs­richt­linien des EUIPO gefunden hat.

„Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von Waren oder Dienst­leis­tungen sind alle erheb­lichen Faktoren zu berück­sich­tigen, die das Verhältnis zwischen den betref­fenden Waren oder Dienst­leis­tungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbe­sondere deren Art, Verwen­dungs­zweck und Nutzung sowie ihre Eigenart als mitein­ander konkur­rie­rende oder sich ergän­zende Waren oder Dienstleistungen.“

(EuGH, Urteil vom 29.09.1998, C‑39/97 – Canon, Rn. 23)

Prüfkri­terien im Überblick (Canon-Katalog):

  • Art der Waren oder Dienst­leis­tungen (z. B. physi­sches Produkt vs. Beratungsleistung)
  • Verwen­dungs­zweck (z. B. Reinigung, Unter­haltung, Ernährung)
  • Nutzung / Anwendung (wie wird das Produkt genutzt?)
  • Zielgruppe / angespro­chener Verkehrskreis
  • Vertriebs­kanäle (z. B. Online-Shop, Fachhandel, Direktvertrieb)
  • Konkur­renz­ver­hältnis (werden die Produkte als Alter­na­tiven gesehen?)
  • Komple­men­ta­rität (ergänzen sich die Produkte wirtschaftlich?)
  • Übliche Herkunft (werden sie typischer­weise vom selben Anbieter produziert?)

Hinweis: Die bloße Einordnung in dieselbe oder unter­schied­liche Nizza-Klasse ist nicht entscheidend. Auch Produkte aus verschie­denen Klassen können ähnlich sein – oder trotz gleicher Klasse völlig verschieden.

Im Klartext:
Ob zwei Marken im recht­lichen Sinne ähnliche Produkte oder Dienst­leis­tungen bezeichnen, hängt nicht davon ab, in welcher Klasse sie im Marken­re­gister einge­tragen sind – sondern davon, ob sie im echten Leben zusam­men­ge­hören oder sich ergänzen könnten.

Fragen wie:

  • „Würde ein Verbraucher erwarten, dass beide Angebote aus demselben Unter­nehmen stammen?“
  • „Werden sie auf denselben Platt­formen angeboten?“
  • „Werden sie vom selben Perso­nen­kreis gekauft oder genutzt?“

helfen dabei, diese Ähnlichkeit zu beurteilen.

Praxis­bei­spiele zur Produkt- und Dienstleistungsähnlichkeit

Produkt / Dienst
A
Produkt / Dienst
B
Ähnlich­keitsgrad Begründung
Smart­phones Smart­watches Hoch Techno­lo­gisch verwandt, gleiche Zielgruppe, oft vom selben Hersteller
Fotodienst­leis­tungen Foto-Druck­software Mittel bis hoch Gemein­samer Zweck (Bildbe­ar­beitung), komple­mentär nutzbar
E‑Learning-Kurse Schulungs­dienst­leis­tungen vor Ort Mittel Gleiche Branche (Bildung), unter­schied­liche Erbringung
Reini­gungs­mittel Reini­gungs­geräte Mittel Unter­schied­liche Art, aber gleiches Ziel, oft gemeinsam angeboten
Möbel Einrich­tungs­be­ratung Mittel bis hoch Komple­mentär, gleiche Zielgruppe, gemein­samer Marktauftritt
Hörgeräte Medizi­nische Beratung bei Hörproblemen Gering bis mittel Gemeinsame Zielgruppe, funktionale Nähe, unter­schied­liche Kategorie
Touris­mus­mar­keting Hotel­be­trieb Mittel Beides im Touris­mus­be­reich, wirtschaft­liche Nähe über Kooperationen
Tierfutter Nahrungs­er­gän­zungen für Tiere Hoch Gleiche Zielgruppe (Tierhalter), eng verwandte Produkte
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5. Kennzeich­nungs­kraft der älteren Marke

Die Kennzeich­nungs­kraft (auch: Unter­schei­dungs­kraft) einer Marke beschreibt, wie gut sie geeignet ist, die Waren oder Dienst­leis­tungen eines Unter­nehmens von denen anderer Unter­nehmen zu unter­scheiden. Je stärker die Kennzeich­nungs­kraft, desto größer der Schutz­umfang der Marke – und desto schneller kann eine Verwechs­lungs­gefahr mit einer ähnlichen Marke angenommen werden.

Arten von Kennzeichnungskraft

Es werden drei Stufen unterschieden:

  • Originäre (normale) Kennzeichnungskraft
    → Die Marke ist von Haus aus unter­schei­dungs­kräftig (z. B. Fanta­sie­be­griffe wie „Kodak“, „Rewe“ oder „Zalando“)
  • Geringe Kennzeich­nungs­kraft
    → Die Marke hat beschrei­bende oder stark sachbe­zogene Anklänge (z. B. „BioSnack“ für Biopro­dukte, „Auto24“ für Fahrzeughandel)
  • Gestei­gerte Kennzeich­nungs­kraft (durch Benutzung)
    → Eine ursprünglich schwache oder normale Marke kann durch intensive und langjährige Benutzung, hohe Bekanntheit, Werbung, Markt­an­teile usw. an Kennzeich­nungs­kraft gewinnen. Dies nennt man Verkehrs­durch­setzung oder Benutzungsverstärkung.

„Je größer die Unter­schei­dungs­kraft der älteren Marke ist, desto eher ist eine Verwechs­lungs­gefahr gegeben.“

(EuGH, Urteil vom 11.11.1997 – SABEL BV / Puma AG, Rn. 24)

Im Klartext:
Marken, die sehr bekannt oder besonders einprägsam sind, genießen einen höheren Schutz. Das bedeutet: Schon kleinere Ähnlich­keiten bei einer neuen Marke können zu einer Verwechs­lungs­gefahr führen.

Anders gesagt:
Wer „Google“ oder „Nike“ ähnelt, braucht nicht viel Ähnlichkeit, um in Probleme zu geraten.
Wer „Autozentrum Berlin“ heißt, muss mehr Unter­schiede ertragen, weil der Begriff beschrei­bender ist.

Beispiele aus der Praxis:

Marke Kennzeich­nungs­kraft Bemerkung
Kodak Hoch (originär, Fantasiebegriff) Stark unter­schei­dungs­kräftig seit jeher
Black­Berry Gesteigert durch Benutzung Intensive Werbung und Markt­präsenz führten zu hohem Schutz
Berry­Phone Schwach (beschrei­bender Begriff) Trotz Nähe zu „Black­Berry“ weniger Schutz, aber Verwechs­lungs­gefahr möglich
BioKeks Gering Sachbezug, eher beschreibend für Bio-Gebäck
Zalando Hoch Fanta­sie­be­griff mit hoher Bekanntheit, starker Schutz
SchuhMarkt24 Gering Allgemein gehalten, viele ähnliche Marken denkbar
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6. Wechsel­wirkung der Kriterien

Die drei Haupt­kri­terien zur Prüfung der Verwechs­lungs­gefahr – Zeichen­ähn­lichkeit, Waren-/Dienst­leis­tungs­ähn­lichkeit und Kennzeich­nungs­kraft der älteren Marke – werden nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrem Zusam­men­spiel bewertet. Dieses Zusam­men­spiel wird als Wechsel­wirkung bezeichnet.

Die Wechsel­wir­kungs­lehre wurde durch die Recht­spre­chung des Europäi­schen Gerichtshofs und des Bundes­ge­richtshofs geprägt. Sie besagt: Ein stark ausge­prägtes Kriterium kann Schwächen in einem anderen Bereich ausgleichen.

Für Juristen: maßgeb­liche Rechtsprechung

„Eine Verwechs­lungs­gefahr besteht insbe­sondere dann, wenn die Zeichen- und die Produkt­ähn­lichkeit jeweils für sich genommen nicht unerheblich sind und die ältere Marke über eine normale oder gestei­gerte Kennzeich­nungs­kraft verfügt.“

(EuGH, Urteil vom 11.11.1997 – C‑251/95, SABEL / Puma, Rn. 22 ff.; BGH GRUR 2004, 865 – Mustang)

Im Klartext:

Es gibt kein Punkte­system und keine feste Gewichtung der drei Kriterien. Statt­dessen wird eine Gesamt­ab­wägung aller Umstände vorgenommen:

  • Wenn zwei Marken fast identisch aussehen, genügt oft schon eine geringe Waren­ähn­lichkeit, um eine Verwechs­lungs­gefahr anzunehmen.
  • Wenn zwei Produkte fast gleich­artig sind, kann auch eine nur mäßig ähnliche Marke zu Problemen führen – insbe­sondere, wenn die ältere Marke besonders bekannt ist.
  • Umgekehrt: Wenn sowohl die Zeichen als auch die Produkte nur sehr entfernt vergleichbar sind, liegt in der Regel keine Verwechs­lungs­gefahr vor.

Beispiel­hafte Konstellationen:

Zeichen­ähn­lichkeit Waren­ähn­lichkeit Kennzeich­nungs­kraft Ergebnis
Hoch Hoch Normal Verwechs­lungs­gefahr bejaht
Mittel Hoch Hoch Verwechs­lungs­gefahr bejaht
Gering Hoch Sehr hoch (bekannte Marke) Verwechs­lungs­gefahr möglich
Hoch Gering Hoch Verwechs­lungs­gefahr möglich
Mittel Gering Gering Keine Verwechs­lungs­gefahr

Merksatz: Je ähnlicher zwei Marken sind, desto weniger ähnlich müssen die Produkte sein – und umgekehrt.
Eine bekannte Marke muss weniger Ähnlichkeit dulden. Eine beschrei­bende Marke hingegen nur dann Schutz beanspruchen, wenn die Zeichen- und Waren­ähn­lichkeit sehr stark ist.

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7. Besondere Erschei­nungs­formen der Verwechslungsgefahr

Neben der unmit­tel­baren Verwechslung eines Zeichens mit einem anderen erkennt die Recht­spre­chung weitere Fallgruppen der Verwechs­lungs­gefahr an. Diese sogenannten beson­deren Erschei­nungs­formen betreffen Situa­tionen, in denen die Marken zwar nicht identisch oder unmit­telbar verwech­selbar sind, aber dennoch eine irrige gedank­liche Verbindung beim Verbraucher ausgelöst wird.

Die drei anerkannten Formen sind:

7.1 Unmit­telbare Verwechslungsgefahr

Hier glaubt der Durch­schnitts­ver­braucher, die beiden Marken seien identisch oder zumindest so ähnlich, dass er sie nicht ausein­an­der­halten kann.

Beispiel:
„Medizon“ statt „Medion“ – geringe Abwei­chung im Klang und Schriftbild. Verbraucher könnten denken, es handelt sich um denselben Hersteller oder ein Schreibfehler. 

7.2 Mittelbare Verwechs­lungs­gefahr (Gedank­liches Inverbindungbringen)

Der Verbraucher erkennt zwar Unter­schiede zwischen den Marken, nimmt aber eine wirtschaft­liche oder organi­sa­to­rische Verbindung zwischen den Unter­nehmen an – z. B. eine Serien­marke oder eine Tochtergesellschaft.

Typisch bei:

  • Marken­fa­milien (z. B. „Nivea Sun“, „Nivea Men“, „Nivea Soft“)
  • Kombi­na­tionen bekannter Marken­teile mit neuen Elementen

„Auch wenn der Verkehr die Unter­schiede erkennt, kann eine Verwechs­lungs­gefahr bestehen, wenn er aufgrund ähnlicher Struktur oder Anklänge davon ausgeht, die Marken stammten aus derselben Unternehmensgruppe.“

(BGH GRUR 2002, 544 – BANK 24)

7.3 Verwechs­lungs­gefahr im weiteren Sinne („assoziative Verwechslung“)

Hier denkt der Verbraucher nicht, dass die Produkte vom selben Anbieter stammen – aber er stellt eine Verbindung im Kopf her und schreibt dem jüngeren Zeichen etwa ein Image oder einen Ruf der älteren Marke zu. Das betrifft insbe­sondere bekannte Marken mit hoher Kennzeichnungskraft.

Beispiel:
„The Dog Face“ für Streetwear wird mit „The North Face“ assoziiert – auch wenn der Verbraucher weiß, dass es sich um verschiedene Unter­nehmen handelt. Dennoch kann dies den Ruf oder die Unter­schei­dungs­kraft der bekannten Marke ausnutzen oder beeinträchtigen. 

„Auch eine bloße gedank­liche Verbindung zwischen zwei Marken kann ausreichen, wenn sie geeignet ist, den Ruf der bekannten Marke auszu­nutzen oder zu beschädigen.“

(Art. 9 Abs. 2 lit. c UMV; BGH GRUR 2010, 1103 – Prali­nenform II)

Im Klartext:
Manchmal verwechselt man Marken nicht direkt – aber man glaubt, sie gehören zusammen. Man denkt vielleicht:
„Das ist bestimmt die neue Produkt­linie von Marke XY“ – oder:
„Das hat sicher was mit der anderen Marke zu tun“.

Auch solche indirekten Assozia­tionen können rechtlich proble­ma­tisch sein – vor allem bei bekannten oder stark bewor­benen Marken.

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8. Praxis­tipps für Markenanmelder

Die recht­liche Prüfung der Verwechs­lungs­gefahr zeigt: Wer eine Marke anmeldet oder nutzt, sollte nicht nur auf identische Begriffe achten, sondern auch auf ähnlich klingende, ausse­hende oder bedeu­tende Marken. Vor allem in Branchen mit starker Konkurrenz oder vielen Eintra­gungen kann schon eine teilweise Ähnlichkeit rechtlich zum Problem werden.

Die wichtigsten Empfeh­lungen im Überblick:

  • Ähnlich­keits­re­cherche vor Anmeldung durch­führen: Eine reine Identi­täts­re­cherche reicht nicht aus. Es sollte gezielt auch nach ähnlichen Marken gesucht werden, um recht­liche Konflikte frühzeitig zu vermeiden.
  • Unter­schied­liche Schutz­be­reiche beachten: Marken­recht gilt national oder regional. Wer europaweit aktiv ist, sollte auch Unions­marken (EUIPO) oder inter­na­tionale Regis­trie­rungen (WIPO) einbeziehen.
  • Zielmarkt analy­sieren: Die Verwechs­lungs­gefahr richtet sich nach dem angespro­chenen Publikum. Ob Verbraucher oder Fachpu­blikum betroffen ist, kann den Ausgang der Prüfung erheblich beeinflussen.
  • Starke Marken besonders prüfen: Wenn eine ältere Marke bekannt oder originell ist, reicht oft schon ein kleiner Anklang, um recht­liche Schritte auszu­lösen. Geringe Ähnlich­keiten können bei starken Marken bereits ausreichen.
  • Nicht auf die Nizza-Klassen verlassen: Die Einordnung in dieselbe Klasse bedeutet nicht automa­tisch Ähnlichkeit – und umgekehrt können Marken aus unter­schied­lichen Klassen dennoch kolli­dieren, wenn ihre Waren sich wirtschaftlich ergänzen oder ähnlich genutzt werden.

Spezi­altipp für unter­schied­liche Märkte:

Wer in mehreren Ländern aktiv ist oder sein Angebot expan­dieren will, sollte länder­spe­zi­fisch prüfen lassen, ob ähnliche Marken bestehen. Ein Begriff kann in einem Land unpro­ble­ma­tisch, in einem anderen jedoch bereits belegt oder marken­rechtlich risiko­be­haftet sein.

Fazit:

Die Verwechs­lungs­gefahr ist kein starres Schema, sondern eine Einzel­fall­ent­scheidung – basierend auf dem Zusam­men­spiel mehrerer recht­licher und wirtschaft­licher Faktoren. Marken­an­melder sollten dieses Risiko nicht unter­schätzen. Denn selbst wenn eine Marke erfolg­reich einge­tragen wird, kann sie jederzeit durch Wider­spruch oder Klage gefährdet werden, wenn ein Dritter ältere Rechte geltend macht.

Eine profes­sio­nelle Marken­re­cherche mit juris­ti­scher Einschätzung ist deshalb kein „Kann“, sondern ein Muss – gerade bei langfristig geplanten Marken­auf­tritten, Inves­ti­tionen oder Online-Vermarktung.

Zusam­men­fas­sende Übersicht:

Tipp Wichtig, weil …
Ähnlich­keits­re­cherche Ähnliche Marken können recht­liche Probleme verur­sachen – nicht nur identische.
Bekannte Marken besonders prüfen Starke Marken haben größeren Schutz­umfang – auch bei kleinen Ähnlichkeiten.
Zielpu­blikum beachten Ob Fachleute oder Endver­braucher angesprochen werden, beein­flusst die Prüfung.
Klassen­logik hinterfragen Gleiche Nizza-Klasse ≠ automa­tisch ähnlich; wirtschaft­liche Nähe ist entscheidend.
Inter­na­tionale Märkte prüfen Rechte können sich länder­spe­zi­fisch unter­scheiden – Risiken bei Expansion.

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