Freie Bahn für KI-Trainings­daten? Erstes Urteil des LG Hamburg im Spannungsfeld von Urheber­recht und Innovation

Das nun vorlie­gende Urteil des Landge­richts Hamburg vom 27. September 2024 (Az. 310 O 227/23) zur Nutzung von KI-Trainings­daten ist ein erstes Signal im Spannungsfeld zwischen Urheber­recht und techno­lo­gi­scher Innovation. Die Frage, wie weit der Schutz geistigen Eigentums reicht, wenn Künst­liche Intel­ligenz zur Analyse und Verar­beitung von Werken einge­setzt wird, wurde bereits in dem Artikel “Urheber­recht gegen Innovation?” Als ich damals bei der mündlichen Verhandlung anwesend war, standen diese Fragen im Raum und wurden von den Anwesenden kontrovers disku­tiert und nun, mit der Entscheidung des Gerichts, erstmals von einem deutschen Gericht ausführlich beant­wortet. Die zentrale Kernfrage lautete: Dürfen urheber­rechtlich geschützte Werke ohne ausdrück­liche Zustimmung des Urhebers für das Training von KI-Modellen verwendet werden?

Mit seiner Entscheidung hat das Gericht klarge­stellt, dass die Nutzung von KI-Trainings­daten im Rahmen der wissen­schaft­lichen Forschung zulässig ist, solange die gesetz­lichen Schran­ken­re­ge­lungen einge­halten werden. Konkret hat das Gericht entschieden, dass die Nutzung von Bilddaten für das Training genera­tiver KI-Modelle von der Schran­ken­re­gelung des § 60d UrhG gedeckt ist. Diese Vorschrift erlaubt die Verviel­fäl­tigung von Werken zum Zwecke des Text- und Data-Mining für wissen­schaft­liche Zwecke, sofern keine gewerb­lichen Inter­essen im Vorder­grund stehen.

Das Gericht befasste sich mit mehreren zentralen Rechts­fragen, die in der Urteils­be­gründung ausführlich analy­siert werden.

  1. Ist die Verviel­fäl­tigung des Bildes durch das KI-Training zulässig?

Eine der Kernfragen war, ob die Verviel­fäl­tigung des strit­tigen Bildes im Rahmen des AI-Trainings zulässig war. Der Kläger hatte geltend gemacht, seine Urheber­rechte seien verletzt worden, da das Bild ohne seine Zustimmung verviel­fältigt und analy­siert worden sei.

Das Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Verviel­fäl­tigung im Rahmen der Schran­ken­re­gelung des § 60d UrhG zulässig sei, da sie wissen­schaft­lichen Zwecken diene. Die vom Beklagten öffentlich zugänglich gemachte Datenbank sei für Zwecke der wissen­schaft­lichen Forschung erstellt worden, was unter die Schranken des Urheber­rechts falle. Von beson­derer Bedeutung ist die Feststellung, dass diese Nutzung nicht kommer­ziell war. Dies ist ein wesent­licher Punkt, der die Recht­mä­ßigkeit der Nutzung sicherstellt.

  1. Anwendung der Schranke des Text- und Data-Mining nach § 44b UrhG

Eine weitere wichtige Frage war, ob sich der Beklagte auf die Schran­ken­re­gelung des § 44b UrhG berufen konnte. Diese Vorschrift erlaubt die automa­ti­sierte Analyse urheber­rechtlich geschützter Werke zur Infor­ma­ti­ons­ge­winnung und bildet die Grundlage für Text- und Data-Mining.

Das Gericht bestä­tigte, dass die Beklagte im Rahmen dieser Vorschrift handelte. Es stellte fest, dass das KI-Training, bei dem Bilddaten mit Textbe­schrei­bungen verglichen werden, als zulässige Form des Text- und Data-Mining anzusehen ist. In der Urteils­be­gründung wird ausge­führt, dass das Ziel dieser Analyse die Korre­lation von Bild- und Textdaten war, was als Gewinnung von „Mustern, Trends und Zusam­men­hängen“ im Sinne des § 44b UrhG anzusehen ist.

Diese Auslegung des Gerichts zeigt, dass die Schran­ken­re­gelung des § 44b UrhG weit gefasst ist und auch das Training von KI-Systemen auf der Basis großer Daten­sätze umfasst.

  1. Wissen­schaft­liche Zwecke und keine kommer­zi­ellen Interessen

Ein weiterer entschei­dender Punkt des Urteils war die Frage, ob die Verviel­fäl­tigung tatsächlich wissen­schaft­lichen Zwecken diente oder ob kommer­zielle Inter­essen im Vorder­grund standen. Das Gericht stellte klar, dass der Beklagte keine kommer­zi­ellen Inter­essen verfolgte. Der Beklagte hatte den Datensatz öffentlich und kostenlos zur Verfügung gestellt, was ein klares Indiz für die nicht-kommer­zielle Ausrichtung der Nutzung war.

Auch wenn kommer­zielle Unter­nehmen den öffentlich zugäng­lichen Datensatz für eigene KI-Systeme nutzen könnten, war dies nach Ansicht des Gerichts irrelevant. Entscheidend sei, dass der Beklagte selbst keine kommer­zi­ellen Inter­essen verfolge und die Nutzung des Daten­satzes der wissen­schaft­lichen Forschung diene.

  1. Bedeutung der Schran­ken­re­gelung des § 60d UrhG

Das Gericht stellte fest, dass die Schran­ken­re­gelung des § 60d UrhG nicht nur die Forschungs­ein­richtung selbst schützt, sondern auch die von ihr zur Verfügung gestellten Daten­sätze, die von anderen Forschenden genutzt werden. Die Erstellung eines solchen Daten­satzes, wie sie der Beklagte vorge­nommen hatte, sei ein notwen­diger erster Schritt im wissen­schaft­lichen Prozess, auch wenn der unmit­telbare Erkennt­nis­gewinn erst in späteren Phasen der Forschung eintrete. Damit ist der Weg frei für ähnliche Projekte, bei denen große Daten­mengen zum Training von KI-Modellen verwendet werden.

  1. Keine privi­le­gierte Stellung kommer­zi­eller Partner

Ein weiterer Aspekt war der Vorwurf, die Beklagte habe kommer­zi­ellen Unter­nehmen einen nach § 60d Abs. 2 S. 3 UrhG unzuläs­sigen privi­le­gierten Zugang zu den Forschungs­er­geb­nissen gewährt. Das Gericht fand jedoch keine Anhalts­punkte dafür, dass ein solcher privi­le­gierter Zugang bestand oder dass die kommer­zi­ellen Partner einen bestim­menden Einfluss auf die Forschung des Beklagten ausübten. Zwar seien einige Mitglieder des Vereins auch für kommer­zielle Unter­nehmen tätig, dies führe aber nicht dazu, dass diese Unter­nehmen einen bestim­menden Einfluss auf den Beklagten ausübten.

  1. Was bedeutet das Urteil für Fotografen, Startups und KI-Unternehmen?

Das Urteil des Landge­richts Hamburg hat weitrei­chende Folgen für verschiedene Akteure. Fotografen, deren Werke in großen Daten­sätzen für das KI-Training verwendet werden, sollten sich bewusst sein, dass ihre Bilder unter bestimmten Voraus­set­zungen auch ohne direkte Einwil­ligung genutzt werden dürfen — solange dies im Rahmen der wissen­schaft­lichen Forschung geschieht und keine kommer­zi­ellen Inter­essen verfolgt werden. Dies mag einer­seits den Schutz der Fotografen einschränken, bietet aber gleich­zeitig klare recht­liche Grund­lagen, um gegen unrecht­mäßige kommer­zielle Nutzungen vorzugehen.

Für Start-ups und Unter­nehmen im Bereich der Künst­lichen Intel­ligenz bietet das Urteil mehr Rechts­si­cherheit. Solange sie ihre KI-Modelle zu wissen­schaft­lichen Zwecken trainieren und die Daten kostenfrei zur Verfügung stellen, können sie sich auf die Schran­ken­re­gelung des Urheber­rechts berufen. Dies schafft klare Rahmen­be­din­gungen für innovative Projekte und fördert die techno­lo­gische Entwicklung, ohne in ständiger Unsicherheit über mögliche Urheber­rechts­ver­let­zungen agieren zu müssen.

Trotz dieser Klarstellung bleibt es für Unter­nehmen wichtig, die Bedin­gungen der Daten­nutzung sorgfältig zu prüfen, um recht­liche Risiken zu minimieren. Gerade in der Übergangs­phase, in der sich das Recht der Künst­lichen Intel­ligenz weiter­ent­wi­ckelt, ist es entscheidend, immer auf dem neuesten Stand zu sein und sich rechtlich abzusichern.

  1. Zukünftige recht­liche Entwick­lungen im Bereich KI und Urheberrecht

Mit dem Urteil des Landge­richts Hamburg wurde zwar eine klare Entscheidung zugunsten der wissen­schaft­lichen Forschung getroffen, die Diskussion um den Einsatz von KI und urheber­rechtlich geschütztem Material ist damit aber keineswegs beendet. Es bleibt abzuwarten, ob der Kläger gegen das Urteil in Berufung geht. Sollte dies geschehen, könnte der Fall vor dem Oberlan­des­ge­richt noch einmal umfassend geprüft und mögli­cher­weise sogar bis zum Bundes­ge­richtshof weiter­ge­führt werden. Ein solches Berufungs­ver­fahren könnte neue recht­liche Maßstäbe setzen und das Thema weiter in die Öffent­lichkeit rücken.

Darüber hinaus könnte das Thema auch auf europäi­scher Ebene in den Fokus rücken. Mit der rasanten Entwicklung der Künst­lichen Intel­ligenz und der zuneh­menden Bedeutung von Big Data werden in den kommenden Jahren voraus­sichtlich weitere recht­liche Anpas­sungen notwendig werden. Die aktuelle europäische Urheber­rechts­richt­linie (DSM-Richt­linie) hat zwar bereits Regelungen zu Text- und Data Mining geschaffen, die rasante techno­lo­gische Entwicklung stellt den Gesetz­geber aber immer wieder vor neue Herausforderungen.

Weitere Auswir­kungen auf die recht­lichen Rahmen­be­din­gungen für den Einsatz von Künst­licher Intel­ligenz könnte auch das geplante KI-Gesetz der EU haben, das derzeit disku­tiert wird. Es wird erwartet, dass dieses Gesetz strengere Regeln und Schutz­me­cha­nismen sowohl für Nutzer von KI als auch für Rechte­inhaber einführen wird. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Gesetze entwi­ckeln und welche Auswir­kungen sie auf die Nutzung urheber­rechtlich geschützter Werke in KI-Projekten haben werden.

Unter­nehmen und Kreative sollten die recht­lichen Entwick­lungen in diesem Bereich aufmerksam verfolgen, um frühzeitig auf neue Regelungen reagieren zu können und sich in dem sich ständig ändernden recht­lichen Umfeld sicher zu bewegen.

Fazit

Das Urteil des Landge­richts Hamburg ist ein wichtiger Präze­denzfall für den Einsatz von KI in der wissen­schaft­lichen Forschung und zeigt, dass das Urheber­recht auch in Zeiten rasanten techno­lo­gi­schen Fortschritts flexibel bleibt. Die Schran­ken­re­ge­lungen des Urheber­rechts, insbe­sondere § 60d und § 44b UrhG, schaffen einen klaren Rechts­rahmen, der es ermög­licht, Künst­liche Intel­ligenz rechts­sicher einzu­setzen, ohne den Schutz des geistigen Eigentums zu untergraben.

Es wird jedoch spannend sein zu beobachten, ob dieses Urteil tatsächlich rechts­kräftig wird oder ob der Kläger in Berufung geht. Eine Berufung könnte das Thema erneut aufrollen und mögli­cher­weise zu einer weiteren recht­lichen Klärung führen, die für die zukünftige Nutzung von KI-Modellen richtungs­weisend sein könnte.